
Der Verein
Geschichte
Der
Brockenlauf,
eine (un)unterbrochene Sport-Geschichte
Jedes Jahr erfreuen wir uns an neuen Gesichtern jeder Altersgruppe. Die erste Sportveranstaltung dieser Art hatte aber schon vor über 90 Jahren, am 12. Juni 1927 stattgefunden. Was im ersten Moment als Druckfehler bzw. Widerspruch erscheint, klärt sich beim genaueren Hinsehen bald auf, spiegelt doch die Geschichte des Brockenlaufs auf ihre Weise deutsche bzw. deutsch-deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts wider.
Alles fängt mit einer Idee an

Angefangen hatte alles in den 1920er Jahren. Der Ilsenburger Otto Schulze, ein junger und erfolgreicher Athlet, wollte in seiner Heimatstadt eine Laufveranstaltung ins Leben rufen. Die jedoch sollte nicht eine unter vielen, sondern eine ganz besondere sein. Schulze war sich natürlich darüber im klaren, dass die Wahl der Strecke in diesem Zusammenhang von entscheidendem Einfluß sein würde. Warum also nicht einfach den Weg über den Brocken nehmen, dachte er sich.
Als dieses Ansinnen bekannt wurde, gab es in Läuferkreisen große Skepsis und zuweilen einfach Kopfschütteln. Solch einen anspruchsvollen Lauf kannte man bisher in ganz Deutschland nicht! Vielen galt darüber hinaus eine Streckenführung direkt über den höchsten Harzgipfel als beinahe selbstmöderisches Unterfangen, hatten doch selbst geübte Wanderer mit dem Weg so ihre Schwierigkeiten — die Kondition, das unberechenbare Wetter… Doch Schulze ließ nicht locker. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern von der “Sportvereinigung 1924 Ilsenburg” sorgte er dafür, dass die waghalsige Idee Wirklichkeit werden konnte.
Der erste Brockenlauf

Am Vormittag des 12. Juni 1927 war es soweit: Neben Otto Schulze starteten 16 weitere Läufer zum „1. Nationalen 20 km-Brockenlauf“. Trotz der starken Regenfälle der Vortage, die die Strecke erschwerten, führte der Lauf vom Ilsenburger Marktplatz über den Brocken bis zum Aussichtsturm auf dem Gipfel – und wieder zurück. Zahlreiche Zuschauer säumten das Ilsetal, viele zweifelten, ob überhaupt jemand das Ziel erreichen würde.
Doch der Jubel war groß, als Otto Schulze, der 24-jährige Lokalmatador und „Brockenlaufvater“, nach 1 Stunde, 41 Minuten und 13 Sekunden als Erster das Ziel erreichte.
Die Ilsenburger Zeitung widmete ihm am nächsten Tag die Titelseite. Unter dem Titel „Unser Otto Schulze Brockenmeister“ wurde der Wettkampf als bedeutendstes Sportereignis der Stadt gewürdigt. Man lobte die Teilnehmer für ihren Einsatz und betonte, welch große Wirkung der Lauf auch für den Kur- und Fremdenverkehr habe. Besonders stolz war man auf die Radioübertragung der Siegerehrung, durch die Ilsenburg und der Brockenlauf überregional bekannt wurden.
Der große Zuspruch von Sportlern und Publikum bestätigte die Veranstalter. Die Teilnehmerzahlen wuchsen stetig: 1928 waren es 28, 1929 bereits 33, und 1930 liefen 49 Athleten mit. 1934 erreichte der Lauf mit 106 Startern erstmals einen Rekord.
1928 – 1939
Zu einer frühen Legende des Brockenlaufs wurden die packenden Duelle zwischen Otto Schulze und Otto Sulkowski. Letzterer trat 1928 erstmals an und erreichte hinter Schulze den dritten Platz – mit neun Minuten Rückstand auf Sieger Walter Pfaff. In den Folgejahren lieferten sich Schulze und Sulkowski immer knappere Kopf-an-Kopf-Rennen.
Besonders eindrucksvoll war ihr Zweikampf beim fünften Brockenlauf am 21. Juni 1931. Die Wernigeröder Zeitung berichtete: „Als erster liegt Sulkowski vorn […] in 10 Meter Abstand etwa kommt […] Schulze.“ Sulkowski erreichte als Erster den Gipfel, wurde aber bald von Schulze überholt. Doch im Rückweg drehte Sulkowski erneut auf: „[…] eine Minute später hat er bereits Schulze überholt. […] vor dem Hotel ‘Prinzeß Ilse’ beträgt der Abstand bereits mehr als 30 Meter.“
Mit 1:37:17 holte Sulkowski schließlich seinen verdienten Sieg – Schulze kam zwei Minuten später ins Ziel.
Der 13. Brockenlauf im Jahr 1939 sollte für lange Zeit der letzte bleiben. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs setzte der sportlichen Tradition ein jähes Ende. Viele der Läufer, die einst über den Brocken stürmten, kehrten vom Krieg nicht zurück.
1954 – 1960

Wiederbelebt wurde der Brockenlauf im Jahr 1954. Trotz erheblicher Hindernisse – vor allem durch die 1952 eingeführten Sperrgebiete und Schutzstreifen rund um den Brocken infolge der angespannten politischen Lage – gelang es engagierten Organisatoren, die traditionsreiche Veranstaltung erneut aufleben zu lassen. 65 Sportler aus der gesamten DDR gingen beim symbolträchtigen „Otto-Schulze-Gedächtnislauf“ an den Start und bewältigten die herausfordernde Strecke.
Bereits ein Jahr später, beim 15. Brockenlauf, liefen erstmals seit dem Krieg wieder Athleten aus Ost und West gemeinsam um die begehrten Titel – ein besonderes Zeichen in einer zunehmend geteilten Nation. In den folgenden Jahren wuchs nicht nur die Teilnehmerzahl, sondern auch die überregionale Bedeutung der Veranstaltung stetig an. Der Brockenlauf entwickelte sich erneut zu einem sportlichen Höhepunkt mit großer öffentlicher Resonanz.
1960, zum 20. Brockenlauf, stand der Wettkampf auf dem bisherigen Höhepunkt seiner zweiten Ära. Doch niemand konnte ahnen, dass bereits im folgenden Jahr das nächste, einschneidende Kapitel folgen würde: Mit der Grenzschließung am 13. August 1961 kam es zum erneuten und diesmal scheinbar endgültigen Aus. Der Lauf über den Brocken, einst Symbol für sportlichen Ehrgeiz und grenzüberschreitende Verbundenheit, wurde durch die politische Realität der Teilung für lange Zeit gestoppt.
1989 – Heute

Erst die friedliche Revolution und die Grenzöffnung im Herbst 1989 brachten neue Hoffnung für den Brockenlauf. Nachdem der höchste Harzgipfel wieder für jedermann zugänglich geworden war, begannen die Ilsenburger Lauffreunde mit voller Entschlossenheit, den traditionsreichen Wettkampf ein zweites Mal zum Leben zu erwecken. Doch der Weg war alles andere als einfach: Es galt, bürokratische Hürden zu überwinden und die oft widersprüchlichen Forderungen der Naturschutzbehörden zu erfüllen, die den Brockenlauf als potenziell umweltschädlich betrachteten.
Trotz dieser Herausforderungen war der Aufwand nicht umsonst. Am 8. September 1990 – nur wenige Monate nach der Grenzöffnung – starteten 438 Läufer, darunter erstmals auch 16 Frauen, die legendäre Strecke des Brockenlaufs. Unter dem Jubel der Zuschauer begann ein neues Kapitel in der (un)unterbrochenen Geschichte des Brockenlaufs, das die lange Tradition fortsetzte und gleichzeitig ein symbolisches Zeichen für den Neuanfang nach der Wiedervereinigung setzte.